Ein Text über "moderne Spiritualität". Was das ist? Ich komme in ihr nicht nur vor - nein, ich bin sie. Also ist sie auch so banal und alltäglich wie ich. Davon handelt dieser Text.
Spiritualität bin ich - ich suche etwas Typisches für mich
Was ist typisch für mich? Irgendeine Geste vielleicht, eine typische Handbewegung, oder Mimik …
Nun, nehmen wir doch das: Der Moment, bevor ich loslege, um die Materialien für einen Workshop fertig zu stellen. Das ist das Ende der Phase, wo ich gar nichts mache, also nichts Sinnvolles. Ich schaue fern, daddle im Internet, mache was zu essen, nehme ein Bad, Skype, was auch immer.
Wenn ich einen Workshop habe, dann stelle ich die Materialien, die Schreibübungen usw. Immer erst kurz vorher zusammen. Also auf den letzten Drücker. Erst dann, wenn es sich dringend genug anfühlt. Je nachdem ist das 1 Tag vorher oder 8 Stunden oder 4 Stunden.
Oder 1 Stunde.
Ich bin dann ganz ruhig und klar. Ich klappe den Laptop auf und schaue in meine Notizen für den Ablauf. Der ist schon vorher besprochen und überlegt worden. Dann hole ich alle Bücher zusammen, die ich brauche, wo die Übungen drin stehen, ich öffne Dateien, die ich brauche. Dann gehe ich von vorn nach hinten alles durch und erstelle ein Journal für diesen Workshop, wo alle Übungen nacheinander drin sind.
Ich formuliere die einzelnen Übungen, sodass sie genau auf diesen Workshop passen.
- Aber stopp, ich wollte nur über den Moment schreiben, BEVOR ich es mache …
Also zurück. Davor mache ich einen Tee, oder Kaffee. Ich stimme mich ein, gern mache ich das in einem Café, wo ein bisschen Stimmung ist. Ich klappe den Laptop auf.
Davor bin ich irgendwie entspannt-konzentriert. Ich spüre einfach, JETZT ist es soweit, jetzt bin ich bereit. Es langweilt mich nicht mehr, die Spannung ist gross genug, jetzt kann ich loslegen.
Davor höre ich noch Musik, vielleicht. Die mache ich dann aus, wenn ich loslege.
Davor schaue ich einen Film und wenn er zu Ende ist und es schon spät ist, dann lege ich los.
Davor nimmt mich der Workshop gedanklich ein, er besetzt mich. Er zieht mich in seinen Bann. Und ich lege los.
Davor ist eine Phase, die lange dauert, so lange, bis es fast zu spät ist.
Das hier wird ein Text über Zeit.
Der Moment, bevor ich anfange, ist der Moment, wo es fast zu spät ist.
Eigentlich beginnt der Workshop genau da. In dem Moment, bevor ich loslege.
Deshalb mache ich es auch nicht schon früher. Erst wenn es beginnt, kann ich anfangen.
Bevor ich loslege, hat es noch nicht begonnen. So einfach ist das.
Wieso ist das Spiritualität?
Die Dringlichkeit des Lebens erfahren, die Zeit fühlen. Nicht als eine, die verrinnt, sondern als eine, die zieht. Die mit etwas Bestimmtem gefüllt ist. Dieser einen Aufgabe. Dem, was JETZT genau dran ist.
Dann bin ich wach.
Und in einem Glückstaumel, alles gleichzeitig. Das ist dann der Schnaps in Spiritualität.
Ein Gefühl wie nach 2 Gläsern Rotwein. Leicht beschwipst und innen ganz warm.
Mit Lust zum Spielen. Lust auf ein bisschen Quatsch.
Zeit, die die Zeit vergessen macht. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe.
Der Moment, bevor ich loslege, ist der perfekte Moment. Es ist eben nicht immer so ein Moment und meine Tage sind eben nicht eine Folge von solchen Momenten. Sie sammeln sich um die Momente, bevor ich loslege. Vorher wartet es und nachher geniesst es.
Was „es“? Ich weiss nicht genau, ich bin es jedenfalls nicht. Eher etwas in mir.
Der Einsatz ist da und meine Stimme erklingt.
Zeit und Spiritualität.
Zeit und Schnaps.
Der perfekte Moment für einen Schnaps.
- Hey, das ist doch mal ein Titel!
Natürlich, der perfekte Moment für einen Schnaps ist DANACH. Wenn die Arbeit getan ist, wenn das Ding läuft, wenn alle zufriedne sind. Oder? Oder lieber DAVOR? Oder vielleicht mittendrin?
Der Moment, bevor ich loslege, ist so gut wie zwei Gläser Wein. Ein Schnaps wäre dann doch zu viel.
Es ist wie die Vorbereitung auf Spiritus. Das Hinlaufen. Schon mal bestellen. Warmglühen. Ach nein, Vorglühen heisst es ja.
Aber eben, auch nicht nüchtern. Da fehlt ja der Spass. Bevor ich loslege, ist es nüchtern. Es ist einfach nur, ohne irgendeine besondere Qualität. Und dann ändert sich etwas. Und dann ist es nicht mehr davor.
Was zwei Gläser Rotwein mit Spiritualität zu tun haben. Sehr schön!
Und mit Zeit. Ja, vor allem mit Zeit.
Zeit, Rotwein und Spiritualität.
Es hat eben mit dem „fast schon zu spät“ Gefühl zu tun, da ist eine gewisse Erschöpfung, vom Warten, eine Müdigkeit. Eine willkommene Anspannung. Das klingt jetzt irgendwie nicht sehr logisch alles.
Fast zu spät und genau richtig.
Wenn ich etwas beginne, dann ist es oft ein „das ist für später“ Gefühl … und dann liegt es … bis das „jetzt ist es fast zu spät“ Gefühl kommt. Und dann ist es genau richtig.
Reife. Wie bei einer Ernte.
Spiritualität hat mit Ernte zu tun. Wow. Und auch mit dem Säen? Ich glaube doch, es wird häufiger gesagt, dass wir Dinge säen. Wenn wir spirituell sind. Wieso eigentlich? Vielleicht weil wir das Innere eher mit etwas Kleinem verbinden, mit Anfängen? Mit Ideen, die anfangen zu wachsen?
Das stimmt natürlich auch. Und doch finde ich die Momente der Ernte, also kurz VOR der Ernte, so magisch. Ich habe eher das Gefühl, darauf hin zu leben. Für diese Momente. Witzigerweise gar nicht so sehr für das DANACH, wenn die Ernte eingeholt ist. Sondern für den Beginn der Ernte.
Der Moment, wenn die Party beginnt.
Der Moment, wenn der Song anfängt, dieses Intro einen auf die Knie gehen lässt.
Der Moment, wenn es beginnt.
Der Moment, kurz bevor die Party beginnt.
Kurz bevor das Intro einsetzt.
Das Knistern. Stille.
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