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Von langen Sätzen und guter Sprache

Autorenbild: Friederike KunathFriederike Kunath

Aktualisiert: 20. Okt. 2020



Gute, starke Sprache = kurze Sätze. Kennst du das? Schon mal gehört, oder? Ich glaube, das steht in wahrscheinlich jedem Schreibratgeber, ob an Studenten, Akademiker gerichtet oder Blogger oder überhaupt jeden, der was fürs Web schreibt.


Denn: Lange Sätze sind trocken, ermüdend, schwierig, schlecht. Keiner will sie lesen. Kurze Sätze sind gut. Und, das Totschlagargument: Google mag nur Sätze unter 20 Wörtern, das habe ich gelesen, denn solche Sätze werden als “gut lesbar” eingestuft. Puh, gerade noch geschafft.


Lange Sätze sind Loser, kurze sind die Stars.


Was ich davon halte? Kurz gesagt: Quatsch. Bullshit.


Warum? Es kommt nicht auf die Länge an, sondern den Rhythmus. Sowohl gelesen als auch gehört, können lange Sätze – und übrigens auch lange Absätze, lange Argumente und lange Texte – sehr gut funktionieren. Wenn sie Rhythmus haben, wenn sie schwingen, klingen und uns hineinnehmen in den Fluss von Wort zu Wort, wenn sie einen inneren Sog haben.


Ein guter Text lebt von Vielfalt, er variiert Satzlängen. Er variiert Einfachheit und Komplexität. Komplexität ist nichts Schlechtes, wenn sie nicht etwas komplizierter macht, als es ist. Wenn sie gewissermassen selbst einfach ist. Damit meine ich, dass sie logisch ist, dass ich ihr folgen kann, dass ich dem Gedanken, der sich entfaltet und der ein paar Kurven nimmt, bevor er zum Schluss kommt, gern hinterher springe.


Es gibt schöne lange Sätze, die wie Girlanden einen Text schmücken. Sie können uns den Atem nehmen, weil sie uns entführen in ein Land mit weitem Horizont, mit grossen, herrlichen Gedanken, in einen Raum von Tiefe und Schönheit.


Wer verliebt ist – wenn du verliebt bist, schwankst du dann nicht auch zwischen kurzen, vielleicht spröden Erklärungen, gestammelten Stummelsätzen und nicht enden wollenden, geschwungenen, einem abenteuerlichen Pfad durch den Wald gleichenden Girlandensätzen? Und ist beides nicht wunderschön?


Ich möchte all den Ratgebern zurufen: Begreift ihr eigentlich, was ihr da empfehlt? Habt ihr eigentlich ein Gefühl für die unendlichen Möglichkeiten der Sprache und wollt ihr uns eigentlich absichtlich ärmer machen?!


Was Sätze anstrengend und ermüdend macht, ist niemals die Länge, sondern das Überflüssige in ihnen.


Und das resultiert oft genug aus Unüberlegtheit, Unklarheit, Lieblosigkeit. Nicht genau wissen, was man eigentlich sagen will, worin der Wert dessen liegt und in welche Tiefen und Weiten die Leser eigentlich geführt werden sollen. Angeben wollen mit schwierigen Worten und Füllwörter, überall ganz schrecklich sinnlose und verstopfende Füllwörter.


Gute Sätze, gute Texte erzeugen Imagination. Sie malen Bilder in unsere Köpfe und sie geben uns genug Futter, sie weiter auszuschmücken. Das können kurze, knappe Sätze, die mehr meinen, als sie sagen. Die verdichten, bei denen der kleine Raum einen grossen erahnen lässt. Die Leere spricht. Aber das können auch lange Sätze sehr gut, die den grossen Raum ausschmücken, darstellen, ihn mit Klang füllen.


Ich jedenfalls liebe sie, die langen Sätze. 🙂

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