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Intro oder Extro? F*ck, ich bin beides!

Aktualisiert: 19. Okt. 2020



Dieser Gastartikel über Introvertierte ist Teil eines Text-Tandems zwischen zwei Bloggerinnen: Ulrike Melzers Text hier im SchreibStimme-Blog und Friederikes Text auf Ulrikes Blog. Beide haben das Thema “Extrovertiert/Introvertiert”. Friederikes Text “Extrovertiert und trotzdem schamrot. Vom Wunsch und der Angst mich zu zeigen” kannst du hier lesen.


Zur Autorin:


Ulrike Melzer, Jahrgang 1981 liebt es, zu schreiben und zu denken – manchmal zuviel. Auf ihrem Blog möchte sie Autoren ermutigen, die zwar schreiben können, aber Angst davor haben, ihre Texte zu veröffentlichen. Sie lässt Menschen, die sich nicht vorstellen können, was ein Schriftsteller den ganzen Tag macht, teilhaben an all den Gedanken die man sich so macht, wenn eine neue Geschichte entsteht.Ihren ersten Roman „Filme fahren“, der in der Nachwendezeit in Berlin spielt, hat sie vor Kurzem als E-Book veröffentlicht. Außerdem schreibt sie Artikel, Gedichte, Songtexte und undefinierbare Texte. Sie lebt in Weimar (Deutschland).


Bin ich extrovertiert oder introvertiert?


Eine Frage, die mich zuletzt in Teeniezeiten beschäftigt hat, als ich mit Freundinnen viel Zeit mit der Erforschung unserer schönen Seelen verbrachte und Psychotests ausfüllte. Später zählte so ein komisches Schubladendenken einfach nicht mehr. Jeder Mensch ist ja vielfältiger, hat eine Unmenge an Emotionen zu bieten und der Charakter und das Wesen eines Menschen ist so kompliziert, dass eine Reduzierung auf Extro-oder-Introvertiertheit dieser wunderbaren Kompliziertheit schlicht nicht gerecht wird.


Doch wer kreativ tätig ist, wird automatisch mit dieser Frage konfrontiert und muss sich mit ihr auseinandersetzen. Denn wir tun das, was wir tun, nicht für uns, wir machen das für unsere Leser/Kunden. Wir teilen. Und dann stellt man über kurz oder lang fest, wie stark dieser Wunsch ist, auf Andere zuzugehen, Kontakte zu knüpfen. Fangen wir also ganz von vorn an….


Als Kind galt ich ganz klar als introvertiert.


„Sei doch nicht immer so in dich gekehrt“, das hörte ich ständig, von Lehrern und Eltern. Ich musste mit neuen Situationen und Menschen erst mal warm werden, saß still da und beobachtete. Außerdem dachte ich mir immer Geschichten aus. Das Leben war für mich ein bunter Film, alles war spannend. Ich konnte mir stundenlang einen Gegenstand angucken, oder den Baum, den man vom Klassenzimmer aus sehen konnte. So saß ich da, mit starrem Blick und dachte mir etwas aus, während Filme in meinem Kopf abliefen.


Ein seltsames Kind.


Viele Menschen machten mir Angst: Ihre Wut, ihre Bestimmtheit, ihre Regeln, ihre Aggression. Dann versteinerte ich und sagte nichts mehr. Aber eher aus so einer „Damit will ich nichts zu tun haben“-Haltung. Regelmäßig wunderten sich Eltern und Lehrer dann, wenn ich mit meinen Freunden herumtobte und Spiele erfand.


So kennen sie mich gar nicht – so extrovertiert.


Ich sei doch die schüchterne, graue Maus. Hmmm…komisch. Was denn nun? Ich fühlte mich einfach sicher. Beim Spielen. So einfach war das. Ich fand es damals schon komisch, warum nur mussten die Erwachsenen alles so kompliziert machen? Mal ist man ruhig, mal laut. Mann, Mann, Mann.


Vielleicht lag es auch daran, dass ich eine „Leseratte“ war und selbst auch schrieb. Solche Leute sind doch introvertiert? Ja, das ist tatsächlich so eine Regel. Ich wage mal einen ganz gewagten Denkansatz: Um etwas zum Schreiben zu haben, muss man etwas erleben. Klar, auch innen drin kann man eine ganze Menge erleben. Aber ohne Erlebnisse, ohne Beziehungen-wie soll das funktionieren?


Oder doch extrovertiert?


Später ging es dann so weiter. Mit der Unschlüssigkeit. Viele waren von mir genervt, weil ich redete ohne Unterlass. Und weil ich laut war und verrückt. Und immer was unternehmen wollte. Und bis zur Besinnungslosigkeit trank. Und dann noch aufgedrehter wurde.


„Nervige Labertasche“ dachte mein späterer bester Freund, als er mich zum ersten Mal sah.

Und dann gab es diese Momente. Diese seltsamen Momente. Dann saß ich auf Partys rum, ohne etwas zu sagen. Antwortete nur einsilbig auf Fragen. Hatte diesen verkrampften Gesichtsausdruck. Das war immer dann, wenn ich sofort spürte, dass hier niemand mit mir reden wollte. Wenn nicht einmal der Blickkontakt erwidert wird, nicht mal ein Hallo kommt, wie soll das dann gehen, mit der Kontaktaufnahme? Warum sollte ich diesen Gesichtern voller Abwehr meine Fröhlichkeit aufdrücken? Alle kennen sich hier. Offenbar schon lange. Soll ich jetzt wie so ein Volldepp schreien: Hey, Hallo, ich bin übrigens die Ulriike und woher kennt ihr den Gastgeber so? Ein mieses Date zieht man doch auch nicht künstlich in die Länge.


Warum warst du denn gestern so still und hast so komisch geguckt? Wurde ich dann gefragt.

Man spricht niemanden an, der nicht angesprochen werden will, erklärte ich. Mit einer Freundin, die sich ähnlich geduldet fühlte auf solchen Partys, zog ich mich dann immer eine Ecke zurück und redete mit ihr über große Themen. Einmal habe ich mich während so einer Party auf dem Klo eingeschlossen und stundenlang telefoniert. Sei doch mal lockerer, sagten mir die Gastgeber, nur um dann zu verschwinden. Es war wie im Song „I´m here“ von Alessia Cara. Wort für Wort beschreibt mein damaliges Lebensgefühl.


„Sag, meinen Freunden, ich bin hier“


Nur, warum änderte sich das, sobald ich in offene, freundliche Gesichter blickte? Mein damaliges Gefühl war immer richtig. Die Leute hielten nichts von mir, luden mich nur aus Höflichkeit ein. Schon damals dachte ich – warum Zeit verschwenden mit Menschen, die einen nicht mögen, wenn man doch stattdessen Spaß mit Freunden haben kann? Meine letzte Party dieser Art lief übrigens ziemlich gut. Ich kannte niemanden, den Gastgeber nur so halb. Ich hatte furchtbaren Liebeskummer und dachte mir, schlimmer als allein zuhause rumzusitzen kann das auch nicht sein. Ich betrat den Raum und setzte mich an einen Tisch einer Gruppe fremder Menschen. Und schon aus meinem ersten Satz wurde ein Gespräch, das den ganzen Abend dauerte. Wir lachten und verstanden uns. Als die Gruppe irgendwann ging, kam die nächste. Und dann noch eine…


Mann, ich dachte, du bist introvertiert, sagte ich zu mir selbst, als ich gegen Morgen nach Hause wankte. Naja, das war 2009.


Oder doch was ganz anderes: Hochsensibel


Dieser Abend blieb die Ausnahme. Ich gehe nicht mehr gern zu Veranstaltungen, wenn ich dort niemanden kenne. Und ich bekam eines Tages die Antwort. Ich bin weder extro- noch introvertiert. Sondern hochsensibel. Die Psychologin Elaine Aaron prägte diesen Begriff. Eine High sensitive Person nimmt alles sehr deutlich wahr. Jede Emotion und eben auch die Emotionen anderer Menschen. Geräusche, Farben, Kälte, Wärme, Liebe, Hass….


Deshalb weiß ich halt schneller, wenn es nicht passt. Wenn die Chemie nicht stimmt. Und sehr schnell wird mir alles zu viel. Dann brauche ich Rückzug. Und dann ist es ja auch nicht so, dass Extrovertierte immer gut ankommt, siehe Labertasche….Wenn ich mich so verhalte, wie ich wirklich bin, werde ich meist nicht akzeptiert. Dann rede ich zuviel. Das wird bei Frauen nicht gern gesehen. Ich stelle zu viele Fragen. Ich nerve. Ich will aber nicht nerven. Also halte ich meine Klappe. Dann ist man zwar introvertiert. Aber dann sagt niemand: Du hast ja nen krassen Humor. Bisschen hart. Lass das mal. Oder: Andere sind auch mal dran. Ist schon spät, ich muss jetzt mal….


Was? So bist du drauf. Hätte ich nicht von dir gedacht…


Es lebt sich leichter, wenn man nicht so viel redet, sich versteckt und nur dann laut wird, wenn es gewünscht wird.


Was bedeutet das für mein Schreiben?


Als Hochsensible/r kann man sich gut in andere hineinversetzen. Und davon lebt meine Schreiberei. Dazu muss ich weder extro- noch introvertiert sein. Beim öffentlichen Lesen ist das schon eindeutiger. Ich werde immer wieder für meine extrovertierte Art bewundert, weil ich gern auf einer Bühne stehe. Menschen lästern eh, ob ich da nun stehe oder nicht. Aber in dieser Zeit habe ich die Möglichkeit, mein Buch vorzustellen. Und das liebe ich. Dann gibt es ein Ziel, eine Aufgabe. Ich muss mich nicht an meiner Bierflasche festhalten und übers Wetter reden.


Doch als es darum ging, mein Buch zu vermarkten, fühlte ich mich sehr introvertiert. Weil da wieder die vielen, uninteressierten Gesichter waren, weil ich dann wieder wusste, es passt nicht. Doch diesmal konnte ich nicht weglaufen. Ich musste diese uninteressierte Masse irgendwie überzeugen. Ich gebe zu: Ich möchte mich am liebsten verkriechen und weiter schreiben, meine Texte für sich sprechen lassen.


Und ich merke langsam: Die Menschen, die wenigen, die sich für mein Geschreibsel interessieren, sind diejenigen, die in einer dunklen Ecke sitzen, bei dem komischen Typen, unter Wolken von Marihuana. Sie wollen mir keine Fragen stellen, keine Gewinnspiele machen oder meinen Status teilen. Sie wollen nur in Ruhe lesen. Und wenn sie über mein Buch reden, wollen sie das da machen, wo sie nicht beobachtet werden. Ich lade euch ein: Zu meiner Lesung. Wir können uns dann in eine dunkle Ecke verziehen und die anderen Selbstdarsteller Business machen lassen.


Wir sind hier.

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