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Vom Berufs-Dilemma einer Kreativ-Madame

Aktualisiert: 17. Okt. 2020



Dieser Text ist für alle, die nicht wissen, wie’s weiter geht

die kreativ-mamsell stellt sich vor


Schliesslich muss sie dringend diese Blog-Funktion bei WordPress testen. Nun, hier bin ich also, Sarah Ley, singende Seifenblase, tieftauchende Meerjungfrau, edler Ritter. In Basel lebe und werkle ich vor mich hin, aber ehrlicherweise, und das muss selbstverständlich unter uns bleiben, habe ich mein Herz an den Zürisee verloren. Im Moment besuche ich den berufsbegleitenden Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Basel. Und da ich mit 33 Jahren noch immer keinen Beruf vorweisen kann, der mich begleitet, habe ich mich an Facebook gewendet.


Denn auch wenn diese Plattform manchmal der Extrem-Ablöscher ist, die sozialen Ohren sind fast immer offen für Hilferufe aller Art (Ich brauche 4 starke Männer um meine Jukebox zu zügeln, ich tausche Caramel-Glace gegen einen WordPress-Crack, ich verkaufe mein Wohnzimmer. Alles schon da gewesen).Nun, die beiden lieben SchreibStimmler Friederike und Franz hatten ihre sozialen Ohren offen und mich vom Fleck weg als Kreativ-Mamsell engagiert. Jetzt darf ich für sie Homepage basteln, Sätze kürzen, Bilder schiessen, Videos drehen und immer mal wieder die Ordnung in ihrem Bücher-Regal neu inspirieren.


spiegelkugel-kopf


Nun drängt sich natürlich die Frage auf, was ich denn bislang mit meinen 33 Jahren so angestellt habe. An dem Punkt nach der Matura, wo sich entscheidet, ob man im Nichts versumpft oder eine grosse Karriere startet, habe ich irgendwie die Entscheidung verpasst. Ich habe ganz einfach beschlossen, mich um gängige Berufswege keinen Deut zu scheren und von nun an das zu machen, was ich gut kann und gerne tue. So wurde ich Chansonette.


Ein glücklicher Zufall liess mich 2007 mit Frau Sarah Rama Zuber in einer Diskothek zusammenstossen. Wir hatten sieben Jahre zuvor im Chor der Jazzschule Basel gesungen und uns da nur von weitem beobachtet, da sie im Alt sang und ich im Sopran. Unter der Diskokugel aber funkelten auf einmal ungeahnte Gemeinsamkeiten. Sie machte den Vorkurs für Klavier an der Jazzschule und ich nahm Gesangsunterricht. Auf einmal begann mein Kopf zu drehen wie eine Spiegelkugel und er hörte nicht auf, bis die Vision wie ein 3D Print vor mir stand – wir beide würden ein Chanson-Kabarett-Duo werden!


zwei herzen wie grammophone



Der Name stand bald fest, “Edle Schnittchen” sollen wir heissen. Lecker und elegant, mit einem guten Schuss Humor, wie die Damen von damals. Ich machte mich daran, Texte zu schmieden und mit dem Rauchen anzufangen. Frau Pianistin klimperte und schon bald wollten wir unseren Unfug auf ein Publikum loslassen.


Am Anfang waren es kleine Auftritte mit Covers von Marlene Dietrich und Edith Piaf. Da das mit dem Rauchen bei mir aber einfach nicht anschlagen wollte, machten wir uns daran, eigene Lieder zu komponieren. Erst im ganz kleinen Rahmen, später auf Bühnen wie dem Teufelhof Basel oder dem legendären Atlantis. So tingelten wir durch unsere Welt voller Zylinder und Pailletten, mit zwei Herzen wie Grammophone und zwei Stimmen, die sich von Jahr zu Jahr immer mehr aneinander anschmiegten. Heute haben wir bereits eine 10-jährige, regenbogengleiche Schnittchen-Karriere hinter uns.


Leider war das Schnittchen-Dasein immer mehr ein Herz- und nicht ein Geldbeutel-füllendes Unternehmen. Wenn die Leute fragen “Lebt ihr davon?” sagen wir jeweils “Nein, dafür”.

Es war ein grosser und angsteinflössender Wendepunkt in meinem Leben, als auf einmal klar war, dass der ganz grosse Geldregen nicht mehr auf uns einprasseln würde. Beziehungsweise, er hätte einen Preis, den wir beide nicht bezahlen wollen. Nämlich, dass uns die Spielfreude und Echtheit abhanden kommt.


Und da musste ich dann auch viele Tränen vergiessen, um diesen Traum loszulassen. Es gab eine Zeit, in der ich wirklich nicht mehr wusste, wie weiter. Ich fühlte mich, als wäre der einzige Weg, der für mich in Frage kommt, zugeschüttet und als gäbe es keinen anderen. Fühlte mich, als könne ich nichts, weil ich nie je etwas anständig gelernt hatte. Als verzettle ich mich andauernd in tausend Spektralfarben und könnte mich zu keiner wirklich bekennen. Was hätte ich gegeben für ein ganz eindeutiges Talent! Frau Ley, die weltbekannte kopfstehende Harfenspielerin, die zweistimmig aus den Nasenlöchern pfeift.


tränen in tel aviv


Nein, ich habe leider kein solches Talent, was eindeutig aus allem heraus ragt und an welchem ich für den Rest meines Lebens feilen und damit die beste von allen werden will. Ich will einfach alles machen! Will singen und DJ sein, will Regie machen, fotografieren und schreiben und das alles am besten zu Aloah-Musik! Eine gute Freundin sagte mal: Es gibt Spezialisten und Allrounder und es braucht beide.


Nun, nach viel Weinen in einem Hotelzimmer in Tel Aviv (hat nix mit dem Wendepunkt zu tun, klingt aber gut), nahm mich meine Liebste in ihren Schoss und sagte die drei wichtigsten Worte zu mir. Sie sagte nicht du armes Ding, sie sagte nicht du kannst doch alles, nein, sie sagte: Schreib einen Lebenslauf.


Da hat sich dann auch erst mal alles in mir vehement gewehrt! Ich hab doch einen, ich will nicht, ich kann nicht, lass mich, scheiss Lebenslauf, will eh keiner wissen.Und sie meinte: Nicht für jemanden oder weil du einen Job willst. Für DICH. Um dir ins Gedächtnis zu rufen, was du schon alles erreicht hast. Und um dabei den roten Faden zu erkennen.


die drei wichtigsten worte


Was sie sagte, bewirkte ein kleines Wunder. Ich machte mich widerwillig, aber fleissig an meinen Lebenslauf. Sammelte die Fragmente meiner Vergangenheit auf. Hatte sogar mehrere Momente, in denen ich ziemlich stolz darauf war, was ich alles schon auf die Beine gestellt hatte. Und dann kam plötzlich… der rote Faden! Nämlich, als ich dem Lebenslauf ein Layout geben wollte und kein vorgefertigtes fand, was ich irgendwie mit dem Wort “Stil” zusammenbringen konnte. Da öffnete ich Photoshop und fing an zu designen. Und da wurde auf einmal klar: das ist es, was mich schon die ganze Zeit begleitet! Und ich hatte es einfach vergessen. Oder nicht beachtet.


Ich hatte eine Matur für Bildnerisches Gestalten gemacht und seitdem sämtliche Schnittchen-Flyer und Video-Clips selber gemacht. Da ist es, das will ich lernen! Und in der Tat, ich schaffte die Aufnahme in den Vorkurs der Schule für Gestaltung.


Und auf einmal hatte ich wieder einen Traum. Nämlich unter der Woche schöne Drucksachen, bewegte Bilder und Fotos für tolle Menschen und Unternehmen kreieren zu können und gut davon leben zu können. Und am Wochenende immer mal wieder ein Konzert geben zu können. Nicht weil ich muss, des Geldes wegen, sondern weil ich es einfach nicht lassen kann.


Wie genau meine berufliche Flugbahn weitergeht, bleibt grade noch ein wundersames Rätsel. Ob ich genug Kraft habe für ein Vollzeit-Studium der Visuellen Kommunikation? Ob ich da reinkomme? Ob es vielleicht einen Grafiker gibt, der mich als Lehrtochter haben will? Ob es denn wirklich Grafik sein soll oder doch Hula-Tänzerin? Ich weiss es nicht. Aber ich habe nun eineinhalb Jahre Vorkurs-Zeit um es herauszufinden. Und ich weiss, dass meine grösste Aufgabe grade ist, zu akzeptieren, dass ich nicht über das nächste Jahr herausschauen kann. Denn wenn ich den Dingen den Raum gebe, sich zu entfalten, wird mir garantiert wieder ein Wunder zufallen.


Dieser Text ist für alle, die nicht wissen, wie’s weitergeht. Es passiert uns allen feinfühligen und vielbegabten Menschen. Weil wir ganz einfach nicht in der grossen Maschine der Gesellschaft zu Brei werden wollen. Wenn du nicht mehr weiter weisst, sind zwei Sätze ganz wichtig:


Es gibt kreative Berufe, mit denen man Geld verdienen kann.

(Zitat Karin Rütsche, meine Lehrerin für Schrift) und:


Schreib einen Lebenslauf.
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