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Von Marken und Menschen. Gedanken einer Theologin über Branding

Aktualisiert: 17. Okt. 2020



Die Beschäftigung mit Branding, oder zu deutsch: der Markenbildung, ist unumgänglich für jedes Unternehmen. Das Unbehagen daran empfinden heute viele Unternehmerinnen und ich gehöre auch zu ihnen. In meinem Fall hat es vielleicht damit zu tun, dass ich als Theologin, die die Hälfte ihres Lebens beruflich an Universitäten verbracht hat, überhaupt nicht vertraut bin mit ökonomischem Denken. So geht es sicher vielen Neuunternehmerinnen heute. Du wagst dich in das Unternehmertun hinein und fremdelst mit all den Dingen, die nun plötzlich wichtig sind.


Dieser Artikel lädt dich auf einen Spaziergang ein, durch das Thema Branding. Meine Sicht auf das Thema ist kritisch, das wird dir nicht entgehen. Ein guter Spaziergang ist nicht kalkuliert und geplant, sondern lässt einen am Wegesrand anhalten und spontan entscheiden: Ach schau, wollen wir nicht da lang gehen? So ist dieser Artikel. Viel Freude beim Lesen!


Wieso mir Branding Unbehagen bereitet


Die Markenbildung führt zum Marketing, der Kommunikation auf dem Markt. Das Unbehagen am Branding ist nicht dasselbe wie am Marketing, aber beides hängt natürlich eng miteinander zusammen. Ich sage es mal für mich so:


Branding bereitet mir Unbehagen, weil es mich, wie der Name ja schon sagt, „brandmarkt“. Es geht um Festlegung, Wiedererkennbarkeit, Wiederholbarkeit. Bei der Vorstellung, über Jahre hinweg irgendwie immer dasselbe zu sagen und zu schreiben, über dieselben Themen, dieselbe Botschaft, stellen sich mir sämtliche Nackenhaare auf. Das ist der Inbegriff von Unfreiheit. Ja, bin ich denn ein Stück Rind, das im ursprünglichen Sinne „gebrandet“ wurde? Markiert als Eigentum von jemandem?


Das klingt extrem. Vielleicht sogar unfair. Denn es gibt heute Branding-Varianten, gerade im Bereich “Personal Branding”, die den Menschen und seine Persönlichkeit gerade in den Mittelpunkt stellen. Diese zur Marke gestaltete Persönlichkeit ist natürlich kein Produkt, keine Marke im herkömmlichen Sinn. Eine Bekannte von mir, Branding-Expertin, mit der ich sehr erfolgreich zusammen gearbeitet habe, vertritt diesen Ansatz sehr stark.


Und so sehr ich theoretisch den Unterschied zum herkömmlichen Produktbranding verstehe, so frage ich mich andererseits doch, ob da nicht eine Nähe zwischen Person und Produkt entsteht, die schwierig ist. Denn wenn ein Konzept von Produkten auf Menschen übertragen wird, wie kann sich dann die Bedeutung von “Branding” völlig verändern?

Ich bin sicher, dass ich nicht die einzige mit diesem Unbehagen bin. Meine Gedanken geben diesem Unbehagen eine Sprache. Denn dann kann ich besser mit Branding umgehen, das ja unweigerlich zu meiner Arbeit als Unternehmerin gehört!


Wie gesagt, das Unbehagen beim Marketing ist nochmal etwas anders. Marketing bereitet mir Unbehagen, weil es die anderen brandmarkt. Meine potentiellen und tatsächlichen Kunden. Die Idee, dass Menschen feststehende Dinge brauchen, auf die sie einfach zugreifen, weil sie ihnen vertraut sind – diese Idee verstört mich. Denn auch dabei geht es nicht um Freiheit, nicht darum nachzudenken. Sondern auf der Basis einer gefestigten emotionalen Beziehung das vertraute Logo zu kaufen.


Freiheit, der natürliche Feind der Treue?


Also füttere ich Menschen mit einem bestimmten Gefühl, immer und immer wieder, bis sie nicht mehr anders können als mich zu kaufen. Das klingt wieder ziemlich extrem. Doch ich denke tatsächlich, dass ein solcher Stück Unfreiheit dem Konzept des Brandings inhärent ist, also in ihm liegt.

Wikipedia gibt mir recht, zum Thema Ethische Grundlagen unter dem Stichwort „Markenführung“:

Jenseits der substantiellen Informationsziele der Markenführung dient die Methodik schlicht der klassischen Indoktrination, die abhängig von intellektuellen Fähigkeiten verschiedene Konzepte der Ausschaltung kritischen Denkens benutzt: Freiheit ist der natürliche Feind der Treue. (https://de.wikipedia.org/wiki/Markenführung)

Das ist provokant: Freiheit ist der natürliche Feind der Treue! Hoppla! Aber ein Körnchen Wahrheit steckt drin. Treue bedeutet eben auch, auf Freiheit zu verzichten. Und wenn ich will, dass unsere Kunden unserer Marke treu sind, nun: Dann wünsche ich mir, dass sie nicht immer wieder überall sonst hingehen. Klar, abhalten kann ich sie nicht. Aber SchreibStimme in ihr Herz einprägen, sodass sie einfach an uns denken, das möchte ich eben schon.


Seien wir ehrlich.


Das Branding-Problem als Beziehungsdilemma


Also bin ich hin- und hergerissen: Ich möchte freie Menschen als Gegenüber und ich selbst möchte auch frei sein, nicht gebranded für alle Zeiten. Ich möchte Interessenten und Kundinnen, die nachdenken, sich ein eigenes Urteil bilden, kritisch sind. Ich will sie nicht einlullen, sondern wirklich überzeugen. Andererseits hätte ich am liebsten die absoluten Traumkunden, die mir ewige Treue schwören und sie auch halten.


Ich glaube, das ist eine echte Spannung! „Echt“ bedeutet, sie lässt sich nicht wegreden. Sie liegt in der natürlichen Spannung zwischen Freiheit und Treue und wie bei einer guten privaten Beziehung, die immer auf beidem beruht, so ist es auch bei einer geschäftlichen Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden: Wir wollen keine Gefangenen, die nicht anders können als bei uns zu bleiben. – Aber wir wollen auch nicht jeden Tag neu anfangen und nach 10 Jahren Ehe immer noch jeden Tag bangen:


Ob er mich wohl mag? 😉


Ich bin Theologin und deshalb finde ich Spannungen und Widersprüche interessant! Ich liebe Widersprüche! Ich will und werde also keine harmonische Lösung finden. Ich möchte nur eins: Besser verstehen. Ich möchte mich in dieser Zerreissprobe bewähren, indem ich beiden Seiten gerecht werde. Also gehe ich tiefer und recherchiere weiter zum Phänomen Branding.


Branding und Kalkül

Und so stosse ich auf einen sehr interessanten Text aus einer Ausstellungsbeschreibung:

Branding. Das Kunstwerk zwischen Authentizität und Aura, Kritik und Kalkül
Der ursprünglich für das Brandmarken von Rindern verwendete Begriff Branding gewann in den letzten zehn Jahren in der Wirtschaft eine neue Bedeutung. Mit verschiedenen Elementen der Kommunikation werden immer wieder neue Brands (Marken) geschaffen und mit der Methode der Wiederholung im Gedächtnis der Gesellschaft gefestigt. So werden wir täglich von Zeichen, Logos, Labels und Werbesprüchen überflutet und unfreiwillig über die Marken geschult. Neue Bedürfnisse werden erzeugt. Wer erkennt nicht das Logo von NIKE, das M von Migros oder Werbesprüche wie „Connecting People“ (Nokia) und „Haribo macht Kinder froh“?
Auch Kunstschaffende haben ihre eigene unverwechselbare Marke zu schaffen. Auch ihre Kunstwerke leben vom Markt und der Wechselbeziehung zum Publikum, wobei sie im Spannungsverhältnis zwischen Authentizität und Aura, Kritik und Kalkülbestehen müssen. Zum einen unterwandern Künstler und Künstlerinnen die Mode- und Businesswelt, eignen sich bestehende Methoden oder Labels zu verschiedenen Zwecken an oder kreieren gar eigene Produkte. Zum anderen zeichnen sich Werke von Kunstschaffenden allein durch ihre unverwechselbare Bildsprache (Farbe, Form, Schrift, Material) oder Handschrift aus: Branding, seit langer Zeit selbstverständlicher Bestandteil eines „guten Kunstwerkes?“

Das ist es! Beim Branding ist Kalkül im Spiel, viel davon sogar, ja es ist kalkulierte Kommunikation. Und dieses Kalkül ist mir ein Dorn im Auge, mit den Kunden, mit mir selbst. Mich selbst berechenbar machen, das klingt gruselig.


Einzigartigkeit als Wert


Dennoch kann ich es nicht einfach ablegen. Der Text sagt, auch Kunstschaffende bilden so etwas aus wie einen Brand, eine unverwechselbare, wiedererkennbare Bildsprache. “So etwas” und doch nicht dasselbe. Die Verbindung zur Kunst ist mir sehr sympathisch. Und sie erklärt das Dilemma noch einmal besser: Denn ich empfinde mich in meinem Tun oft mehr als Künstlerin denn als Unternehmerin.


Wenn ich im Flow bin und wirklich in meinem Element – ob beim Schreiben oder Lehren oder Coachen oder Singen – dann bin ich wie eine Künstlerin nur mit dem Kunstwerk verbunden. Ich lasse mich völlig ein auf die Worte, mein Gegenüber, die Gruppe, den Klang und erschaffe in dem Moment etwas Einzigartiges. Es wird nicht wiederholbar sein, das ist mir in diesen Momenten immer ganz bewusst.


Ich liebe es ja gerade, Erfahrungen zu erschaffen, die nicht wiederholbar sind. Ein Konzert, das live stattfindet, mein Gesang, der verklungen sein wird und nur in diesem Moment existiert. Ein Text, der eine einzigartige Farbe hat und einen Klang, den ich so vielleicht nie wieder hervorbringen werde.

Wie es der Text sagt, befindet sich eine Künstlerin im Spannungsverhältnis zwischen Kalkül und Kritik, man könnte auch sagen: Freiheit.


Menschen ohne Kalkül begegnen


Die Kunst hat eine grosse Nähe zur Theologie. Zum einen ist es definitiv eine Kunst, von Gott zu reden. Zum anderen ist Gott DIE Künstlerin überhaupt, die Schöpferin aller Dinge und wir, der Bibel zufolge, ihr Ebenbild. In der Bibel gibt es keine Andeutung dazu, dass Gott irgendein Kalkül mit der Schöpfung verfolgt. Das ist vielleicht für uns schwer zu verstehen: Gott entschliesst sich einfach, Menschen zu machen. Warum? Ich denke, weil sie Lust darauf hatte. Als Sängerin, die ich auch bin, kann ich das sehr gut verstehen! Welchen besseren Grund könnte es geben?


Von dieser theologischen Tiefe her wird es dem Menschen nicht gerecht, wenn man ihm mit Kalkül begegnet. Es entwürdigt ihn zutiefst.


Branding und Kunst, das beschäftigt mich weiter. Bei SchreibStimme verbinden wir Schreiben, Reden und Film, weil es fantastische Synergien ermöglicht. Es eröffnet so viel Freiraum und gegenseitige Inspiration. Zugleich ist für uns klar: Die Besten suchen immer nach einer künstlerisch passenden Ausdrucksform. Es drängt sie danach, sich in verschiedenen Medien auszudrücken. Es entsteht die verkörperte, visuell unterstützte, ästhetisch gestaltete Sprache. DU selbst wirst zum Kunstwerk. Also doch: ein Brand?


Identität zwischen Verlieren und Finden


Kann das Nicht-Kalkulierte Teil eines Brands sein? Spannende Frage. Eine Antwort habe ich nicht, denn darum geht es gar nicht bei guten Fragen.


Auch SchreibStimme hat einen roten Faden. Wir werden wiedererkannt und mit bestimmten Werten verbunden. Oft, ohne dass wir es immer kalkulieren. Es hat einfach damit zu tun, dass wir bestimmte Dinge immer wieder tun. Wir gehen immer wieder am Rande des Bekannten entlang und haben immer den Fokus auf den weissen Flecken. Die Universität lässt grüssen, das prägt eben.


Mit diesen Gedanken beende ich meinen kleinen Spaziergang durch das Thema Markenbildung. Es wird mich und dich auch immer begleiten. In der Balance zwischen Treue und Freiheit finden und verlieren wir immer wieder unsere Identität.


Sind Schöpferin und Geschöpf.

Sind Künstler und Kunstwerk.

Beides ist essentiell.

Beides ist wundervoll.


Herzlich grüsst deine Friederike


P.S.: Lass gern deinen Kommentar da. Was denkst du zum Thema? Hast du deine Marke gefunden? Schränkt sie deine Freiheit ein oder nicht?

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