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Wie du besser schreibst, immer wieder. Von Schreibfrust und Hingabe

Aktualisiert: 17. Okt. 2020



Deine Sprache und du – Frust oder Lust?


Ja, ich verstehe. Du bist nicht zufrieden, du bist nicht ganz glücklich. Du willst dich weiterentwickeln. Du willst besser schreiben können, bessere Texte produzieren. Mehr Leser, mehr Begeisterung, mehr Erfolg.


Du findest, dass deine Sprache noch nicht gut, präzise, emotional … genug ist. Nicht genau das ausdrückt, was du willst. Du bist oft frustriert und willst mit mehr Freude und Leichtigkeit und Glück schreiben.


Weisst du was? Du hast festgestellt, dass die Beziehung zu deiner Sprache Entwicklungspotential hat.


Ja, Beziehung. Denn wenn du dir vorstellst, die Sprache und dein Schreiben sei eine Person, mit der du eine Beziehung hast – sei sie auch suboptimal im Moment – dann wird das dein Verhältnis zu ihr verändern.


Wie gehst du mit deiner Sprache um? Achtest du auch im Alltag auf deine Worte? Gefällt dir, was du hörst? Mir geht es nicht um moralische Massstäbe, darum, dass du auf irgendeine bestimmte Weise reden sollst – sondern allein um dein Bewusstsein, dein Wissen über deine eigene Sprache. Hörst du dir zu? Was hörst du?


Es ist nicht anders als bei allen anderen Beziehungen. Wenn du erfüllte Beziehungen möchtest, ist es klug, dein Gegenüber genau anzusehen, ihm zuzuhören, ihn oder sie kennenzulernen.


Dir Zeit zu nehmen. Gut über ihn zu denken und zu reden.


Und sich bewusst zu machen: Niemand ist dazu da, mich glücklich zu machen. Wenn du von deinem Partner – deinen Kindern, deinem Körper, deinem Beruf, deinem Geld usw. – erwartest, dass er dich glücklich macht, dass er dir etwas gibt, damit du zufrieden sein kannst, dass er zu liefern hat, wird das keine erfüllte Beziehung. Ich vermute, dass dir dieser Gedanke nicht ganz fremd ist, solange es um Menschen geht. Aber es gilt, glaube ich, auch von allen anderen Beziehungen, zu Dingen und Tätigkeiten.


Wenn ich von Essen erwarte, dass es mich glücklich macht, werde ich vielleicht kurzzeitig Erfolg haben, aber immer wieder und langfristig enttäuscht werden. Wenn ich von meinem Training und meinem Körper erwarte, dass er mich gefälligst mit Glückshormonen zu belohnen hat, wird mich frustrieren, wenn das mal nicht funktioniert.


Ich delegiere dann die Verantwortung, die Quelle für mein Glück, von mir weg. Und damit degradiere ich die Sache, um die es geht. Und das ist der beste Weg, um Freude und Erfüllung loszuwerden.

Es ist das gleiche, wenn du deine sprachlichen Fähigkeiten verbessern willst. Egal ob es darum geht, bessere Texte für die Website zu schreiben, dich authentischer ausdrücken zu können, mehr Freude am Schreiben zu haben. Erwarte nicht vom Schreiben, dass es dir Glück, mehr Leser, mehr Geld usf. liefert. Mache die Wörter nicht verantwortlich für dein Glück, deine Zufriedenheit und deinen Erfolg.


Degradiere die Welt der Wörter nicht zum Erfüllungsgehilfen für dein Glück.


Ja, es gibt wunderbare Tipps für schnittige Texte und Überschriften, mit denen du jedes Thema so aufziehen kannst, dass es mehr Leute lesen. Rhetorik. Im extremen Fall: Sprachmissbrauch. Die Sprache soll etwas leisten, sie schuftet und verbiegt sich, wird dressiert und manipuliert, benutzt. Das funktioniert sogar. Aber, meine Garantie: So wirst du keine tiefe, in deinen Eingeweiden, deiner Persönlichkeit brennende Leidenschaft für dein Schreiben, keine Erfüllung erleben. Warum? Weil du keine gute Beziehung zu deinen Worten, Texten, Reden entwickelst.


Lies und schreibe ohne Zweck und ohne Absicht. Ohne etwas anderes damit zu wollen. Lies und schreibe, als ob es nur dich und deine Wörter gäbe. Lies und schreibe so, wie du einen faszinierenden Menschen kennenlernst. Mit Hingabe, mit deiner ganzen Aufmerksamkeit. Sauge auf, wie die Wörter wirken, welchen Rhythmus die Sätze haben, wie sie auf deiner Haut entlangperlen, welchen Charakter sie haben.


Sprache ist ein Universum von lebendigen Wesen.


Beginne eine Liebesbeziehung zur Sprache. Jeder kann das. Du kannst eine einzigartige Beziehung zur Sprache haben, zu der Welt deiner Wörter und Sätze und Texte. Wertschätze sie, wie wilde Blumen, die in deinem Garten wachsen und die du nicht zwingen kannst, dort zu sein. Wie Schmetterlinge und Vögel, die beim Frühstück in deiner Nähe tanzen und dich erfreuen und die du nicht zwingen kannst, dort zu sein.


Erwarte nichts von ihnen und gib ihnen alles. Sei da, regelmässig und zuverlässig. Lies täglich und ohne Zweck, mit Genuss. Schreib täglich, ohne Zweck.


Beziehungspflege. Dates mit deiner Sprache. Fange dort an, wo du bist. Mit deiner Sprache, mit deinem Schreiben, so unperfekt und klein und falsch es auch ist. Sei liebevoll, denn nur so entwickelt sich deine Sprache gern weiter.


Deine wundersame, einzigartig-schillernde Welt der Wörter, dein Leben.

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