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I just wanna feel - über Rollen, Erwartungen und Ehrlichkeit.


Nie wieder will ich im Leben anderer Menschen die Rolle spielen, sie von sich selbst abzulenken.
Nie wieder will ich diejenige sein, die dafür sorgt, dass du nicht fühlen musst.
Nie wieder will ich nur gemocht werden, weil ich deine Lebenslüge bestätige.

Diese Sätze schrieb ich mir mal auf um mich selbst daran zu erinnern, wie schnell das gehen kann: Eine Rolle zu spielen im Leben anderer.


Wie einfach und verführerisch das ist: Denn so muss ich mich nicht der Angst stellen, nicht so gemocht zu werden, wie ich wirklich bin. Wenn ich brav tue, was von mir verlangt wird, tue, was von mir erwartet wird, kann ich schon aus diesem Grund nicht abgelehnt werden - ich werde ja gebraucht.


Spiele ich wieder Weinflasche für andere?


Erwartungen zu erfüllen ist leicht.


Oft spüre ich, was andere Menschen von mir erwarten, sie zeigen es mir mit ihrem Verhalten oder sprechen es aus. Erfülle ich diese Erwartungen, entsteht eine Beziehung, die einem Handelsabkommen gleicht. Ein Deal. Alles, was uns Menschen in Beziehung miteinander gehen lässt, fällt weg. Erfülle ich die Erwartungen nicht, bin ich raus.


Und ich weiß, dass nur ein klares Wort von mir, etwas, das ich dem anderen von mir gebe, etwas, das vollkommen authentisch ist, mein Gegenüber sofort vertreiben wird. Die Be-Ziehung, die es mir anbietet, bezieht sich auf den Teil, der nicht fühlen will. Der Teil, der sich nicht sehen will, und meine Rolle ist die des Publikums, das dem nackten Kaiser für sein nicht vorhandenes Prachtgewand applaudiert.

Seit drei Jahren befinde ich mich in einem stetigen Prozess des Loslassens: Ich lasse Menschen und Umstände hinter mir, die mir diese Rolle anbieten. Für die ich die Funktion einer Weinflasche oder Beruhigungstablette habe: Alles gut, ich kann so unbewusst bleiben wie ich bin.


Aber ich habe Lust auf echte Begegnung, echte Beziehung: Nein, sorry not sorry, du kannst nicht unbewusst bleiben. Ich will mit dir lebendig sein. Ich will, dass du dich fühlst, mich fühlst: dann erst beginnt Leben.


Und ich habe festgestellt - das ist sowohl in privaten Beziehungen als auch in der Kunst so.


Kunst kommt von Können?

Welche Rolle habe ich als KünstlerIn? Vor zwei Tagen verbrachte ich den ganzen Tag im Park mit lieben Menschen: musizieren, chillen, tiefe Gespräche führen, kreativ sein ohne Druck und Zwang, singen, weil ich es liebe zu singen und etwas zu erschaffen. Am nächsten Tag malte ich, einfach so. Wenn ich kreativ bin, denke ich nicht an das Danach. Das Danach, was das zuvor so absichtslos Fliessende in viel zu harte Strukturen packt, bis es nicht mehr atmen kann.


Dieses Danach beginnt, wenn wir ein Studium oder eine Ausbildung anfangen, um „etwas aus unseren Talenten zu machen.“


Es beginnt, wenn wir den Satz hören: „Man kann erst die eigene Stimme nutzen, wenn das Handwerk erlernt ist.“


Die Fantasie brauche feste Strukturen, Formen, Mauern. Und damit bauen wir der Fantasie dann oft Gefängnisse, aus denen schwer wieder herauszukommen ist.


Wenn es beim Musikmachen nur noch darum geht, ob etwas gut oder schlecht ist, wenn ein Expertenteam darüber entscheidet, ob du Talent hast oder nicht.


Wenn Kunst nur noch Technik ist und du dich irgendwann nur noch mit der Frage beschäftigst, was für Techniken du noch lernen musst, und Kunst ausschließlich als Handwerk verstehst, führst du auch mit der Kunst eine Geschäftsbeziehung. Die Seele fehlt, du brennst aus.


Die Erwartungen anderer werden erfüllt, du wirst zum Dienstleister. Doch ist das die Aufgabe der KünstlerInnen?


Manchmal kommt es mir so vor, als entspräche das der allgemeinen Auffassung. KünstlerInnen sind Virtuosen, Menschen, die etwas besonders gut können, besser als andere. Der Künstler auf dem Podest, unter ihm die ehrfürchtige Menge.


Obwohl ich gern lerne, macht mir diese Auffassung Angst, nimmt mir die Freude.

Kunst kann heilen, doch so funktioniert Heilung nicht.


Wirksamkeit und Pflastersätze


Ich glaube, Kunst ist nur dann wirksam, wenn sie Erwartungen bewusst nicht erfüllt.


Wenn sie die Menschen ins Fühlen bringt. Dahin wo es wehtut, wenn sie bewegt und transformiert.

Kunst kann verstörend wirken und das kann Angst machen. Viele geben an diesem Punkt auf. Denn klar es ist nett und macht Spaß, Applaus für eine Sache zu bekommen, die gefällt.


Weniger Spaß macht es, Bestürzung, Abscheu und Ablehnung zu erfahren. Denn Kunst, die unsere Schatten thematisiert, konfrontiert andere mit ihren Schatten. Und das ist - genau wie in persönlichen Beziehungen - der Punkt, an dem es kippt: Das war nicht der Deal! Du solltest mich unterhalten, besänftigen, berauschen, beruhigen. Ich will nicht Beziehung, sondern Bestätigung.


Können wir dann mutig sagen: Ich möchte diese Art von Kunst nicht machen.


Ich will, dass du fühlst.

Ich will Beziehung mit dir leben.


Auch wenn das bedeutet, dass du mich nicht magst. Aber vielleicht liebst du irgendwann, was die Kunst mit dir macht und wie sie dich heilen kann.


Es gibt bestimmte Sätze, die wie ein Pflaster wirken.


Sie tun nicht weh, beruhigen - bleiben aber ohne weitreichende Wirkung und Konsequenz. Coaches und KünstlerInnen haben dann die Rolle des Beruhigungsmittels oder der Whiskeyflasche: Mit einem Glauben komm ich ein wenig sanfter durchs Leben. Ich weiß schon, dass das alles Quatsch ist, aber es hilft mir abzuschalten, runterzukommen.


Erholung in einer Welt aus Selbstoptimierung und Leistungsdruck.


Es ist leicht, innerhalb der Strukturen ein wenig Linderung zu verschaffen, ohne etwas ändern zu wollen an diesen Strukturen.


Es ist leicht Erwartungen zu erfüllen, statt echte Hilfe anzubieten.


Christoph Schlingensief - keine Angst vor der Dunkelheit

In letzter Zeit beschäftige ich mich mit AutorInnen und KünstlerInnen, die ganz bewusst Erwartungen nicht erfüllt und Menschen mit ihrer Kunst oder ihren Büchern ins Fühlen gebracht haben. In den Schmerz, dahin wo es wehtut.


Der Künstler Christoph Schlingensief, der, wie es in einem Artikel von Holger Noltze so treffend formuliert, „das Unsichtbare sichtbar machte und das Dunkle zwischen Bildern aufscheinen ließ,“ ging sehr bewusst, fast kämpferisch auf die Schatten zu - seine, die anderer Menschen - und zerstörte ganz bewusst Erwartungen. Nicht um zu provozieren, Neugier trieb ihn an - warum ist der Mensch wie er ist, was treibt Menschen an, gibt es da noch mehr?


In kindlicher Art und Weise und viel Humor, mit Mut zum Wahnsinn inszenierte er Filme, Theaterstücke und Projekte, mit denen er immer wieder Menschen gegen sich aufbrachte. Das nahm er in Kauf und nach seinem Tod blieb das übrig. Die Leute hatten ihn verstanden, schätzten ihn für seine Kunst, gerade weil er mit Erwartungen brach.


Er wurde geliebt, gehasst und ab und zu auch für ein bisschen irre befunden, weil er bewusst diese Erwartungen zerstörte.


Er wollte nicht geliebt werden. Er wollte heilen, das heißt, Menschen ihre Schatten zeigen, sie in die Versöhnung mit sich selbst führen. Er wollte lieben, nicht um jeden Preis geliebt werden.


Christoph Schlingensief, der Held meiner Jugend, war nie klar einzuordnen. 1960 wurde er in Oberhausen geboren, fing mit Experimentalfilmen an und wurde sehr erfolgreich: führte Regie bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth, war Autor, Opernregisseur, vertrat Deutschland bei der Documenta -und das alles, obwohl er zweimal an der Münchener Filmakademie abgelehnt wurde und sein Studium der Theaterwissenschaften, Philosophie und Germanistik abbrach.


Er gründete eine Partei, ein Operndorf, verknüpfte politischen und sozialen Aktivismus mit künstlerischen Projekten. Seine Schattenthemen: Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, der Umgang mit Behinderten und sozial Benachteiligten, der elitäre Kunstbetrieb, Religion, Leben und Sterben. Auch sein eigenes: Am 21.08.2010 starb er an Lungenkrebs.


„Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können.“

Von Christoph Schlingensief lernte ich, dass man nicht immer alles erklären muss, schon gar nicht, wenn es um Kunst geht. Dass eine genaue Definition nicht unbedingt nötig ist.


Wir machen Kunst oft aus einem Gefühl der Trennung, des Nichtverstehens heraus. Die Kunst bringt Einheit und Klarheit.

Alienated - wenn Anteile im Schatten landen

So ein Gefühl begleitete mich seit meiner Kindheit: Das Gefühl, anders zu sein und das Leben wie es die Mehrzahl meiner Mitmenschen wahrnimmt, nicht auf die gleiche Art und Weise wahrzunehmen.


Ich sah die Menschen um mich herum und empfand dieses Unbehagen, wenn ich ihre Härte, Arroganz und Kälte bemerkte: Gegen sich und andere, dem Leben gegenüber, das sie wie ein nötiges, aber freudloses Übel betrachteten, dem man sich ab und zu durch Exzess oder Unterhaltung entziehen konnte.


Ein Dasein voller Verpflichtungen, Langeweile und Müssen.


Kontrollsucht und Verachtung gegen Menschen, die ein erfülltes Leben suchten, statt nur zu überleben.

Erst viel später erkannte ich, was diese Menschen so verhärtet: Sie haben irgendwann gelernt, was in dieser Welt ok und anständig ist und was nicht. Statt zu sein, wer sie sind, versuchen sie zu werden, was von ihnen erwartet wird. Alles was stört, wird in den Keller des Unterbewussten verbannt.

Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung nannte das die Schattenanteile - es ist im Schatten, aber dennoch existent. Es ist im Dunkeln, aber nicht weg.


Diese Erfahrung, falsch in der Welt zu sein, ungewollt, ausgegrenzt, ist meist der Auslöser für das Verdrängen in den Schatten, die Grundlage für die Entscheidung eines unbewussten Lebens.


Ich muss irgendwie anders sein als ich bin, lernte ich als Kind. Und ich fragte mich: Warum bin ich dann hier? Wenn ich nur lebe um nicht ich selbst zu sein. Soll ich wirklich die Lebensenergie, die ich besitze, nur dazu benutzen alles an mir zu unterdrücken?


Es ist sehr wenig, was bleibt, wenig was wir tatsächlich zeigen können. Eine Ausnahme bietet vielleicht noch die Jugend, die Zeit, in der Grenzüberschreitungen schon fast erwartet werden. Doch danach verlernen wir uns selbst zu fühlen. Weil das im Alltag keinen Platz hat. Wir müssen funktionieren und suchen uns in der Freizeit meist ohne Erfolg selbst.


Künstler haben die Aufgabe, unsere Schattenanteile für uns auszuleben.


Sie sollen für uns fühlen und Grenzen überschreiten. Das ist bei genauerer Betrachtung eine ziemlich toxische Angelegenheit.


Deshalb gab und gibt es immer wieder KünstlerInnen, die sich diesem Spiel verweigern und Menschen ins Fühlen bringen wollen. Nicht für sie kreativ sein, sondern zur Kreativität anregen. Mut machen. Herausfordern. Katharsis statt Unterhaltung.


Christoph Schlingensief wusste nie so richtig, ob das, was er macht, wirklich Kunst ist - vielleicht nicht einmal, was er da macht. Diese Suche nach Definition aufzugeben, ist der vielleicht wichtigste Schritt um wirkungsvolle Kunst zu erschaffen.


Der moderne Mensch-ein fragmentiertes Wesen.

Ein Mensch, der Persönlichkeitsanteile abspaltet, lebt kein einheitliches Leben, sondern eines mit vielen Rollen.


Überall ein anderer. Wer sie selbst sind, können solche Menschen kaum noch beantworten, da sie ihr Selbst unterteilt haben in verschiedene Fragmente.


Der moderne Mensch ist ein fragmentiertes Wesen. Wer ungefähr weiß, welche Rolle wann und wo gespielt wird, welche Worte man sagt, welche Verhaltensweisen erwünscht sind, handelt wie ein Schauspieler, der den Regieanweisungen folgt.


Wie soll dann eine realistische Einschätzung der eigenen Person, wie Empathie gelingen?

Mit Angst, Wut und Schmerz gehen wir gelegentlich gerne so um, als seien sie nervige, aber unausweichliche Zustände, die unser Leben zu einem großen Teil bestimmen.


Dabei haben sie nur eine Aufgabe: Informationen weiterzugeben, die wichtig sind für eine positive Entwicklung des Lebens. Doch diese Information interessiert uns nicht, weil wir uns entfremdet haben und unsere Gefühle tatsächlich als außerhalb von uns wahrnehmen. Wir fühlen uns von Angst, Wut und Schmerz überwältigt, bitten also die Informanten nicht nur auf einen Kaffee herein, sondern darum bei uns einzuziehen, ohne einmal auf ihre Botschaft zu hören. Das zeigt sich sehr gut in Floskeln wie „überwinde deine Angst“.


Wir wollen sie mit Techniken, Tipps und Tricks auslöschen, weg machen, nehmen sie als störendes Unkraut war und wollen sie mit giftigen Pestiziden loswerden.


Das gilt genauso auch für jegliche Anteile unserer Persönlichkeit, die nicht zum perfekten Selbstbild passen oder dem, was zur Gesellschaft passt, in der wir leben.

Es ist der Glaube an eine Erlösung, die am Ende einer langen Leidenserfahrung auf uns wartet, die Kunst zu diesem Spiel aus Projektion und Erwartungen macht.


Wenn Kunst nicht mehr der Erlösung dient, sondern vielmehr den Menschen dazu empowert, viele Momente der Erlösung immer wieder selbst zu erschaffen, benötigen wir Künstler nicht mehr dazu, für uns zu fühlen und Schattenerfahrungen zu machen.


Wir fühlen selbst, wir erfahren selbst. Wir handeln.

Meine Coachingübung „poetische Schattenarbeit“

Die poetische Schattenarbeit als Coachingmethode funktioniert genauso: Das Schreiben als Einheitsprozess. Die fragmentierte Persönlichkeit setzt sich wieder neu zusammen um die Angst des einen Anteils vor dem anderen zu überwinden. Wenn alles da sein darf, kann ich echte Entspannung erleben. Wenn die Bewertung für einen Augenblick ruhen darf, kann auch meine Angst zur Ruhe kommen, weil ich mir nicht mehr selbst fremd bin, ich kenne mich und so auch andere.


Deine Worte können befreit einfach fliessen. Du musst sie dir nicht mühevoll am Schreibtisch ausdenken. Wie ein Bildhauer, der seine Skulptur nur enthüllt, enthüllen wir gemeinsam deine Worte und erleben ihre befreiende Kraft.


Der Schatten muss nicht in Licht verwandelt werden. Das Licht enthüllt vielmehr, was im Verborgenen war, und nimmt es mit, hüllt es vereint und gibt an andere weiter.


Übungen für dein Schattenjournaling:


Was willst du mit deinem Tun, deiner Kunst bewirken? Was glaubst du mit deiner Kunst bewirken zu müssen?


Schreibe dir fünf inspirierende KünstlerInnen, bzw. AutorInnen auf. Was inspiriert dich an ihnen? Beschäftige dich mit ihren Biographien. Haben Sie Erwartungen erfüllt? Wie gingen sie mit Misserfolgen und Ablehnung um? Was bewirkte ihre Kunst?


Was an dir und/oder deinem kreativen Ausdruck macht dir Angst und passt nicht zu dem Bild, das du nach außen zeigen möchtest?


Stell dir diese Anteile als Personen vor und lass sie zu Wort kommen. Mach dir klar, das bist alles du! Also höre, was sie dir zu sagen haben. Du musst es ja nicht umsetzen ;-)

„Was immer du tun kannst oder wovon du träumst-fange es an. In der Kühnheit liegt Genie, Macht und Magie“

Johann Wolfgang von Goethe



Deine Ulrike


***


P.S.: Am 21.8. und 28.8. finden die nächsten poetischen Schreibworkshops statt - online:



Jeweils 2,5 Stunden am Abend gehen wir zunächst nach innen und kreieren daraus poetische Texte. Wir begegnen wir unseren Schatten und schreiben aus dieser Begegnung heraus heilende Texte (Workshop I). Im zweiten Teil gehen wir weiter und verarbeiten unseren Text so, dass es ein Stück Poesie wird, das wir der Welt zeigen können (Workshop II).


P.P.S.: Hier kannst du dir ein kostenloses Worksheet "Poetische Schattenarbeit" herunterladen. Es gibt dir eine genaue Anleitung, wie du diese heilsame Methode selbst ausprobieren kannst.


P.P.S.: Hier kannst du mehr über mein Coachingangebot "poetische Schattenarbeit" lesen. Eine heilende und künstlerische Erfahrung.

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